Am 10. Oktober 2016 fand in Moskau eine internationale wissenschaftliche Konferenz „Christliche Werte inmitten der globalen Herausforderungen“ statt. Das war die 8. Konferenz der 2002 in Deutschland gegründeten Konferenzreihe „West-Ost-Diskurs“. Über 150 Wissenschaftler, Journalisten, Amtsträger der Kirchen, Politiker sowie Vertreter der Öffentlichkeit aus Deutschland, Russland und insgesamt 12 Ländern Europas und der Welt nahmen an der Konferenz teil.
Die Konferenz wurde vom West-Ost-Institut Berlin zusammen mit zahlreichen Partnern wie dem National Institute of Business, der Agentur für strategische Kommunikation „Nikkolo M“ sowie dem Europainstitut der Russischen Akademie der Wissenschaften vorbereitet und durchgeführt. Eröffnet wurde die Veranstaltung durch den Gründer der Konferenzreihe und Direktor des West-Ost-Institut Berlin Prof. Dr. Alexander Krylov.
„Die Frage der christliche Werte hat in unserer Zeit immer mehr Bedeutung gewonnen, besonders in der europäischen Zivilisation, die heute eine erste Identifikationskrise erlebt. Die Konferenz und das Treffen in Moskau von führenden Fachleuten aus West- und Osteuropa halte ich für sehr wichtig“, schrieb der Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen Kurienkardinal Prof. Dr. Kurt Koch an die Teilnehmer.
Der erste Teil der Konferenz „Christliche Werte und die Grundlagen der modernen Wertediskussionen“ wurde mit einem Online-Beitrag des renommierten deutschen Philosophen Robert Spaemann eröffnet. Spaemann zweifelte, ob man überhaupt von christlichen Werten sprechen dürfe: „Das Christentum verkündet nicht die christliche Werte, sondern die christliche Wahrheit“. Eine methodologische Einführung zum Thema machte Ethikforscherin Tatjana Porohovskaya aus der Lomonossow-Universität Moskau.
Der katholische Erzbischof von Moskau und Präsident der Russischen Bischofskonferenz Dr. Paolo Pezzi sprach über Wesen und Inhalte der christlichen Werte: „Denken wir an den heutigen Terrorismus, der versucht sich durch moralische Werte zu legitimieren, oder an die Macht der Wissenschaft, die die Fähigkeit zu haben scheint, einen perfekten Menschen im Labor zu erschaffen. Oder an die Regierungen, die durch Gesetze Druck auf religiöse oder ethnische Minderheiten aufbaut… Können wir immer noch über Demokratie reden, über gerechtes Recht? Gibt es immer währende Werte, oder kann etwas von Wert nach eigenem Ermessen geändert oder relativiert werden?“, so Pezzi.
Einer der bekanntesten russischen Religionssoziologen, Prof. Dr. Anatoliy Krasikov, der für die Zusammenarbeit mit der Kirche unter Präsident Jelzin zuständig war und früher als sowjetischer Beobachter das 2. Vatikanische Konzil erlebt hat, sprach über Werteherausforderungen in Europa. Monsignore Salvador Pane, Regens des internationalen Priesterseminars des Erzbistums Köln, stellte aktuelle europäische Wertediskussionen vor. Der italienische Journalist und Redakteur bei Radio Vatikan, Mario Galgano, teilte Impulse zum Thema „Einfluss von Politik und Medien auf das Wertesystem der modernen Gesellschaft“.
Das zweite Teil der Konferenz „Christliche Werte in der modernen Gesellschaft“ begann mit dem Beitrag des Religionsforscher Dr. Sergey Filatov vom Europainstitut, der über das Ringen um Werte durch historische Mythologie in der Russisch-Orthodoxen Kirche sprach. Der deutsche Professor Christoph Schank (Universität Vechta und Universität St. Gallen) und sein russischer Kollege Juri Petrunin (Lomonossow-Universität Moskau) sprachen über das Christentum und Wertekonflikte in der Wirtschaft. Der Kölner Theologe Dr. Peter Seul schilderte Wertekonflikte, die in lokalen Räumen entstehen. Der Kölner Rechtswissenschaftler Dr. Christian Jasper berichtete über den Einfluss christlichen Gedankenguts auf die Wertetraditionen, die der Gesetzgebung in Europa und der Welt zugrunde liegen. Dabei vertrat er die These, dass die Christen auch zukünftig und in säkularen Staaten als Ausfluss der Religionsfreiheit mit freiheitlichen Mitteln Einfluss auf die Gesetzgebung nehmen können und dürfen. Daran hätten oftmals auch die Staaten ein Interesse, weil sie auf ein Wertefundament in der Gesellschaft angewiesen seien, das sie selbst nicht schaffen könnten. Eine ausführliche Analyse der Möglichkeiten und Fehler der Wertekommunikation wurde vom Präsidenten der „Nikkolo M-Group“ und Lehrstuhlinhaber an der Russischen Plekhanov-Wirtschaftsuniversität Igor Mintussov vorgestellt.
Wie jede Konferenz der Reihe „West-Ost-Diskurs wurde auch die Konferenz 2016 mit einem Expertenforum abgeschlossen. Der Vorsitzende der Synodalen Abteilung für Zusammenarbeit zwischen Kirche und Gesellschaft im Patriarchat der Russisch-Orthodoxen Kirche Prof. Dr. Vladimir Legoida betonte im einen Grundvortrag zum Thema "Globale Herausforderungen und Chancen für das Christentum heute": „Wir sprechen heute in den Konferenzen über Werte. Dabei wäre es ist wichtig zu verstehen, dass das Christentum nicht nur ein Werte- oder axiologisches System ist, sondern das Leben in Christus“.
Mit Diskussionsbeiträgen nahmen an dem Expertenforum der Chefredakteur des Domradios Ingo Brüggenjürgen, die Abgeordnete der Duma (des russischen Parlaments) und Schauspielerin Elena Drapeko, der Theologe Andrzej Kucinski sowie weitere Wissenschaftler und Repräsentanten der Öffentlichkeit teil. Das Expertenforum wurde vom russischen TV-Moderator und Mitglied der Kommission für Entwicklung von Zivilgesellschaft und Bürgerrechte unter Präsident Maxim Shevchenko moderiert. Die Konferenz wurde mit einem kleinen Konzert der internationalen Preisträger und Angehörigen der Moskauer Universität der Geisteswissenschaften beendet.
Im Rahmen der Konferenz nahmen ca. achtzig deutsche Teilnehmer am 9. Oktober 2016 im Gottesdienst in der Deutschen Botschaft und am 11. Oktober 2016 am Treffen mit dem Leiter des Außenamtes des russischen Patriarchats Metropoliten Hilarion teil. Zu den Partnern der Konferenz gehörten unter anderem Domradio.de, KaiserCommunication GmbH und Diözesanstelle des Erzbistums Köln Weltkirche-Weltmission.
Die Ergebnisse der Konferenz werden in der Zeitschrift „Wissen-Verstehen-Können“ veröffentlicht und im neugeplanten „Handbuch der europäischen Werte“ aufgearbeitet. Die Organisatoren und Veranstalter der Konferenz sprachen über die positive Bilanz dieses wissenschaftlichen Forums: „Das Wichtigste für die Wissenschaftler ist, dass die Konferenz viele neue Impulse für sozialwissenschaftlichen Forschungen gesetzt hat und ermöglichte, bestehende Fragen und Probleme in einem neuem Licht zu betrachten“, sagte Professor Alexander Krylov.
Ein großer Gewinn der Konferenz ist einen neuen Schritt zur Völkerverständigung, zur internationalen wissenschaftlichen Kooperation und zum interreligiösen Dialog. Dazu bleibt zu hoffen, dass die Analysen der Sozialforscher eine Resonanz in der Gesellschaft finden und zur Entschärfung von Wertekonflikten beitragen.