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Politikwissenschaftliche Hochschule Sciences Po Paris schafft Concours ab

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Eine der wichtigsten Hochschulen Frankreichs verabschiedet sich von den traditionsreichen schriftlichen Prüfungen bei der Studienplatzvergabe, um eine stärkere Diversität ihrer Studierendenschaft zu fördern.

Sciences Po Paris gehört zu den bekanntesten Hochschulen Frankreichs und ist eine der prestigeträchtigen „Grandes Écoles“, deren Absolventinnen und Absolventen sehr gute Karrierechancen haben. Jedes Jahr bewerben sich fast 11.000 junge Menschen in verschiedenen Bewerbungsverfahren um einen der 1.900 Plätze für ein grundständiges Studium. Bisher mussten die 6.000 französischen Bewerberinnen und Bewerber einen Eingangstest mit drei umfangreichen schriftlichen Prüfungen in Geschichte, Wirtschaft oder Philosophie und einer Fremdsprache bestehen, um zu einem kurzen mündlichen Bewerbungsgespräch zugelassen zu werden. Dieses Verfahren schafft die Hochschule nun ab. Stattdessen entscheiden in Zukunft die Schul- und Abiturnoten und ein Aufsatz, wer zum Bewerbungsgespräch mit mündlicher Prüfung eingeladen wird. Damit verabschiedet sich Sciences Po Paris vom traditionellen französischen, „Concours“ genannten Auswahlverfahren zugunsten einer individualisierteren Selektion wie sie international verbreitet ist. Die Tageszeitung Le Monde spricht von einem „Beben in der Hochschulwelt“.

Der Direktor von Sciences Po Paris, Frédéric Mion, erläutert den Schritt gegenüber Le Monde folgendermaßen:

„Wir stehen einer globalen Legitimitätskrise der Eliten gegenüber und müssen daher unser gesamtes Verfahren überdenken. Wir wollen mehr Diversität in den Laufbahnen und der Herkunft. Und wir wollen mehr Exzellenzkriterien einbeziehen als nur die akademischen: die Offenheit, das Durchhaltevermögen, den Erfindungsreichtum oder die Belastbarkeit eines Bewerbers“.

Sciences Po Paris trägt mit der Maßnahme laut Le Monde auch der aktuell laufenden Reform des höheren öffentlichen Dienstes Rechnung: Insbesondere soll die Verwaltungshochschule ENA (Ecole nationale d’administration) grundlegend erneuert werden, zu deren aussichtsreichster Bewerbergruppe traditionell die Absolventinnen und Absolventen von Sciences Po Paris zählen. Vor zwei Jahren wurde bereits die Studienplatzvergabe für die Masterprogramme vom Concours auf Bewerbungsunterlagen umgestellt.

Wie Forschungsergebnisse zeigen, tragen an der Sciences Po Paris besonders die schriftlichen Prüfungen zur Reproduktion der sozialen Eliten bei: 70 Prozent der erfolgreichen Bewerberinnen und Bewerber kommen aus der Oberschicht (catégories socio-professionnelles supérieures), während diese nur 18 Prozent der französischen Gesellschaft darstellt. Mit ähnlicher Denkrichtung wird aktuell auch das Abitur in Frankreich reformiert, wo unter anderem ebenfalls ein größerer Schwerpunkt auf mündliche Fähigkeiten gelegt werden soll. Laut einer Studierendenbefragung bereitet sich zudem etwa die Hälfte der Jugendlichen auf den Sciences Po-Concours durch private Vorbereitungskurse vor, die im Schnitt 2.000 Euro kosten.

2001 hatte die Hochschule bereits Vereinbarungen mit Schulen in sozioökonomisch benachteiligten Stadtteilen geschlossen (Conventions éducation prioritaire, CEP) und an Schülerinnen und Schüler aus diesen 106 Einrichtungen in einem gesonderten Verfahren mit mündlichen Prüfungen etwa zehn Prozent der Studienplätze vergeben. Nun will sie mit weiteren 94 Schulen ein CEP schließen und künftig 15 Prozent der Studienplätze an CEP-Abiturienten mit Anspruch auf eine Studienbeihilfe, sprich aus einkommensschwachen Familien vergeben. Insgesamt sollen sogar 30 Prozent der Plätze mit Beziehern von Studienbeihilfe besetzt werden. Das entspricht der Quote für Master-Studienplätze an den Universitäten. Dieser neue Schwerpunkt auf Studienbeihilfe-Bezieher wird eingeführt, da die CEP-Vereinbarungen allein die soziale Öffnung nicht ausreichend voranbrachten. So studieren durch dieses gesonderte Bewerbungsverfahren zwar viermal mehr Studierende aus einkommensschwachen Schichten an der Sciences Po Paris. Aber auch immer mehr Jugendliche aus wohlhabenden Familien lernen an CEP-Schulen und setzen sich im gesonderten Bewerbungsverfahren durch: Ihr Anteil an den so Aufgenommenen hat sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt und liegt mittlerweile bei 40 Prozent.

Das neue Verfahren wird für alle angewandt, auch für die über 3.300 Bewerberinnen und Bewerber aus dem Ausland, die bisher ebenfalls ein eigenes Verfahren hatten. Sciences Po Paris rechnet mit einem Anstieg der Bewerberzahlen um bis zu 30 Prozent. Die Zahl der Studienplätze bleibt gleich.

Zum Nachlesen (Französisch)

Quelle: Le Monde Redaktion: von Kathleen Schlütter, Deutsch-Französische Hochschule Länder / Organisationen: Frankreich Themen: Bildung und Hochschulen

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