StartseiteAktuellesNachrichtenWissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen fordert klimapolitische Langfriststrategien

Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen fordert klimapolitische Langfriststrategien

Berichterstattung weltweit

Anlässlich der 26. Vertragsstaatenkonferenz der UN-Klimarahmenkonvention in Glasgow im November 2021 hat der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) Anfang Juli das Politikpapier "Über Klimaneutralität hinausdenken" an Bundesforschungsministerin Anja Karliczek und den Staatssekretär im Bundesumweltministerium Jochen Flasbarth übergeben. In dem Papier empfiehlt der WBGU, nationale Langfriststrategien zu einem Hauptthema der Glasgower Klimakonferenz zu machen, um der aktuellen Klimapolitik Orientierung zu bieten.

Bislang sind die Staaten nur dazu verpflichtet, kurzfristige "national festgelegte Beiträge" (nationally determined contributions, NDCs) zum Klimaschutz vorzulegen. Diese müssen laut dem WBGU-Papier deutlich ambitionierter werden und schon heute einen Pfad einschlagen, mit dem die Ziele des Pariser Übereinkommens erreicht werden können. Daher ist es aus Sicht des WBGU notwendig, auch die Erstellung von Langfriststrategien verpflichtend vorzuschreiben. Sie sollten über Klimaneutralität hinaus auf globale Klimastabilisierung ausgerichtet werden. Sie bieten eine Richtschnur zur Verstärkung der nationalen Klimaschutzbeiträge (NDCs) sowie eine Basis für eine international abgestimmte Nachhaltigkeitspolitik. Rückenwind gibt hierzu der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 24. März 2021, der die Erstellung langfristiger Strategien zur Minderung der CO2-Emissionen über 2030 hinaus für den deutschen Gesetzgeber als verfassungsrechtliche Pflicht einordnet. In einem ersten Schritt stellt das Bundesministerirum für Bildung und Forschung 50 Millionen Euro für zwei Programme zur Verfügung, die erforschen, wie CO2 in Ozeanen und Böden eingelagert werden kann.

Langfriststrategien sollten dafür drei separate Schwerpunkte enthalten: Sie sollten erstens den schnellen und vollständigen Ausstieg aus der Nutzung fossiler Energieträger vorsehen, zweitens den Schutz und die Wiederherstellung von Ökosystemen sowie ihre nachhaltige Nutzung anstreben sowie drittens die Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre strategisch vorbereiten. Die Strategien sollten Mehrgewinne mit anderen Dimensionen von Nachhaltigkeit anstreben, etwa Gesundheit oder Armutsbekämpfung. Von hoher Bedeutung ist schließlich, die internationalen Auswirkungen der in der eigenen Langfriststrategie festgeschriebenen Maßnahmen zu berücksichtigen, etwa die Folgen geplanter Importe von grünem Wasserstoff. Die Staaten sollten sich in Glasgow außerdem dazu bekennen, ihre Covid-19-Programme zur Bewältigung der Pandemiefolgen im Sinne klimapolitischer Langfriststrategien zu nutzen.

Klimastabilisierung ist die dauerhafte Begrenzung der globalen Erwärmung möglichst auf 1,5°C über dem vorindustriellen Niveau, um eine gefährliche anthropogene Störung des Klimasystems zu vermeiden. Für Klimastabilisierung ist es aller Voraussicht nach nicht ausreichend, globale "Klimaneutralität" zu erreichen, d.h. einen Ausgleich zwischen menschen-gemachten Quellen und menschengemachten Senken von Treibhausgasen zu schaffen. Es wird sehr wahrscheinlich zusätzlich notwendig sein, der Atmosphäre über Klimaneutralität hinaus weiteres CO2 dauerhaft zu entziehen, um frühere hohe Emissionen und verbleibende Erwärmungstrends auszugleichen. Aufgrund ihrer historischen Verantwortung sind hier vor allem die Industrieländer in der Pflicht. Viele Staaten (auch Deutschland mit seinem Klimaschutzplan 2050 und Entwurf zur Änderung des Bundes-Klima-schutzgesetzes) zielen mit ihren nationalen Langfriststrategien bisher lediglich auf Klimaneutralität. Der WBGU empfiehlt, das Ziel der globalen Klimastabilisierung – orientiert an den Pariser Erwärmungsgrenzen – explizit auch in nationale Strategien aufzunehmen und Maßnahmen und Ziele darauf auszurichten. 

Jede Langfriststrategie sollte primär nationale Klimaschutzpotenziale ausschöpfen und dabei künftige Bedarfe und Potenziale zur Erzeugung und zu Importen von Rohstoffen und erneuerbaren Energien abschätzen. Die internationalen Auswirkungen nationaler Maßnahmen sollten beachtet und Entwicklungsländer, insbesondere Niedrigeinkommensländer bei der Umsetzung ihrer Langfriststrategien unterstützt werden. Die Strategien können so Grundlage für eine internationale Diskussion über Transformationspfade zur Nachhaltigkeit werden und den Rahmen für die Weiterentwicklung kurzfristiger nationaler Beiträge zum Klimaschutz abstecken. Darüber hinaus sollten Langfriststrategien Synergien mit der Nachhaltigkeitsagenda enthalten. Insbesondere in Entwicklungs- und Schwellenländern sollten nationale Investitionen in Wissenschaftssysteme und Ausgaben für nachhaltigkeitsorientierte Forschung und Entwicklung deutlich angehoben sowie regulatorische Rahmenbedingungen und Finanzierungsmechanismen verlässlich und langfristig ausgerichtet werden.

Zum Nachlesen

Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen: Über Klimaneutralität hinausdenken

Quelle: Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen Redaktion: von Anna März, VDI Technologiezentrum GmbH Länder / Organisationen: Deutschland Global Themen: Strategie und Rahmenbedingungen Umwelt u. Nachhaltigkeit

Weitere Informationen

Projektträger