StartseiteLänderAfrikaTunesienZusammenfassungÜberblick zur Bildungs-, Forschungs- und Innovationslandschaft und -politik

Bildungssystem

Zuständig für die Schulbildung ist das tunesische Bildungsministerium (Ministère de l’Education, ME). Das nach der Unabhängigkeit Tunesiens 1956 eingeführte Schulsystem ist stark an das französische, zentralistisch organisierte Bildungssystem angelehnt. Ähnlich wie in anderen arabischen Ländern gewinnen private Schulen an Bedeutung. Die Bildungsergebnisse sind derzeit nicht überzeugend, da Tunesien bei den PISA-Schulleistungstests hintere Ränge belegt (siehe Bildungsindikatoren).

In Tunesien beginnt die Grundschulbildung („Enseignement de Base") mit dem Eintrittsalter von sechs Jahren. Die ersten neun Jahre der Schulbildung sind verpflichtend und werden in sechs Jahre Grundschulbildung an einer Grundschule („École Primaire") und drei Jahre Hauptschulbildung an einem Collège unterteilt. Nach neun Jahren erfolgt ein erster Schulabschluss mit dem sogenannten „Diplôme de Fin d’Études de l’Enseignement de Base" (vergleichbar mit einem deutschen Haupt- bzw.  Realschulabschluss). Die vierjährige Sekundarstufe („Enseignement Secondaire") ist in eine zweijährige allgemeine Vorbereitung sowie zwei weitere Jahre der Spezialisierung aufgeteilt. Die Oberschule wird mit dem Abitur („Examen National du Baccalauréat", arab. al-bakaluria) abgeschlossen (imove 2017: Marktstudie Tunesien für den Export beruflicher Weiterbildung, S. 30). Das tunesische Abitur bietet je nach Spezialisierung in der Oberstufe eine Hochschulzugangsberechtigung für alle Studienfächer oder nur für ausgewählte.

Für die Berufsausbildung in Tunesien gibt es diverse Ausbildungsgänge und Abschlüsse, die teilweise innerhalb der Grundbildung (8./9. Klasse), teilweise im Bereich der Sekundarbildung oder post-sekundären Bildung absolviert werden können (imove 2017, S. 31). Zuständig ist in erster Linie das Ministerium für Berufsbildung und Beschäftigung (Ministère de la Formation Professionnelle et de l'Emploi, MFPE, Internetauftritt in Arabisch). Unterstützt wird das MFPE durch die Ministerien für Tourismus, für Landwirtschaft oder auch für Gesundheit, die branchenspezifische Teilbereiche abdecken. Die dem MFPE angehörige Tunesische Agentur für berufliche Bildung (Agence Tunisienne de la Formation Professionnelle, ATFP, Internetauftritt in Arabisch), die 1993 gegründet wurde, verwaltet 138 der insgesamt 214 öffentlichen Ausbildungszentren. Die ATFP kooperiert mit ausländischen Organisationen und Unternehmen und steht hierdurch hinter nahezu jedem in Tunesien durchgeführten Berufsbildungsprojekt (imove (2017), S. 36).

Mit der Verabschiedung des Strategieplans 2016 – 2020 („Plan stratégique sectoriel de l’éducation 2016-2020“, nur in arabischer Sprache verfügbar) hat die tunesische Regierung einen integrierten Ansatz zur Effizienz- und  Qualitätssteigerung des Bildungssystems (mit  dem  Fokus Berufsbildung) und zur sozialen und ökonomischen Entwicklung des Landes formuliert (imove (2017), S. 22).

Für die tunesischen Hochschulen ist das Ministerium für Höhere Bildung und Wissenschaftliche Forschung (Ministère de l’Enseignement Supérieur et de la Recherche Scientifique, MSERS) zuständig. Entscheidungen werden nach Beratung mit dem Universitätsrat (Conseil des Universités) getroffen. Der „DAAD-Hochschulreader Tunesien“ informiert zu Profil, Fach- und Studienrichtungen, internationalen Ko-operationen und enthält Kontaktadressen für alle staatlichen Universitäten und die wichtigsten privaten Hochschulen. Unter dem Dach von 13 Universitäten (darunter eine virtuelle Universität) gibt es über 200 eigenständige Institutionen, denn die „Ecoles“, die Institute und die Fakultäten verstehen sich jeweils als eigene Einheiten, die Universität ist die verwaltungstechnische Klammer (Webseite der staatlichen Universitäten mit den zugeordneten Institutionen). Ferner gibt es mehr als 20 Technische Hochschulen (Instituts Supérieur d’Etudes Technologiques, ISETs), deren Ausbildungsangebote einen wissenschaftlich-technologischen Schwerpunkt in angewandten Bereichen (Tourismus, Technik) haben und jeweils ein Praxissemester voraussetzen.

Für ein Studium an staatlichen Einrichtungen fallen für inländische wie für ausländische Studierende grundsätzlich keine Studiengebühren an, lediglich eine Verwaltungsgebühr. Etwa ein Drittel der Studierenden erhält staatliche Hilfe zum Lebensunterhalt. Daneben operieren in Tunesien über 70 private Hochschulen (Liste MSERS), die sich in den letzten Jahren wachsender Beliebtheit erfreuen, obwohl sie Studiengebühren erheben  (DAAD-Bildungssystemanalyse 2017, S. 12).

Tunesien hat bereits ab 2006 sukzessive das Bologna-System eingeführt, so dass das Studium, ähnlich wie in Deutschland, in drei Abschnitte und Abschlüsse unterteilt ist. Ausnahmen gelten für das Ingenieur- und Medizinstudium. Bachelor- und Master-Abschlüsse werden in zwei Ausprägungen vergeben: akademisch (fondamentale) versus angewandt (appliquée).

  • Licence (al-Ijaza), Dauer drei Jahre;
  • Master (al-Magistir), Dauer zwei Jahre;
  • Doctorat (al-Dukturah), Dauer drei Jahre.

Trotz der jungen Bevölkerung in Tunesien ist die Anzahl der tunesischen Studierenden seit dem Studienjahr 2011/12, als über 360.000 Immatrikulierte verzeichnet waren, deutlich zurück gegangen. Zuletzt lag sie nur noch bei 280.000 und beträgt damit nur etwa ein Zehntel der Anzahl der Studierenden in Ägypten und in Deutschland (siehe Bildungsindikatoren). Der Rückgang der tunesischen Studierendenzahl ist u.a. mit der relativ hohen Schulabbruchsquote begründet, zudem werden Programme zur Berufsausbildung als Alternative zum Hochschulstudium wahrgenommen (DAAD-Bildungssystemanalyse 2017, S. 10/19).

Anders als in Ägypten legen die Studierenden in Tunesien einen Schwerpunkt auf die sogenannten MINT-Fächer, was die Beschäftigungsaussichten eigentlich verbessern sollte: Unter denjenigen, die über einen akademischen Abschluss verfügen, erreicht der Anteil von Mathematik, Naturwissenschaften, Statistik und Ingenieurwissenschaften fast 30 Prozent (siehe Bildungsindikatoren). Dennoch liegt die Arbeitslosigkeit in Tunesien unter Hochschulgraduierten bei 35 Prozent, gleichzeitig machen die Graduierten 70 Prozent der tunesischen Arbeitslosen insgesamt aus. Vor diesem Hintergrund ist das Doktorat eine Alternative, insbesondere in den Fachbereichen Biologie und Biotechnologie (DAAD-Bildungssystemanalyse 2017, S. 19 f.).

Anfang 2015 hat die Regierung die Tunesische Strategie für Reformen in Hochschulen und Forschung („Plan stratégique de la réforme de l'enseignement supérieur et de la recherche scientifique 2015–2025“) angenommen, die für die Hochschulen über die nächsten zehn Jahre umfassende Reformen vorsieht. Dazu gehört ein Ausbau der universitären Autonomie, eine stärkere Vernetzung mit der lokalen Wirtschaft und eine bessere Schulung des Lehrpersonals. Primäres Ziel bleibt es, die Beschäftigungsaussichten („employabilité“) der jährlich 30.000 bis 40.000 Hochschulgraduierten zu verbessern. Gerade im Ausland gibt die hohe Arbeitslosigkeit vor dem Hintergrund eines fragilen Demokratisierungsprozesses und irregulärer Migration Anlass zur Sorge. Mit internationaler Unterstützung werden daher an den tunesischen Hochschulen Berufsberatungszentren eingerichtet, Praktika etabliert, Start-Ups gefördert und neue Lehrinhalte eingeführt, um die unternehmerischen Talente der Studierenden zu wecken. Leitbild ist das der „Entrepreneurial University“. Beiträge leisten die Weltbank mit mehr als 70 Mio. USD für den Zeitraum von 2016-21 für das Projekt „Tunisia Tertiary Education for Employability Project" (TEEP, Bezugnahme in Tunesien als „Projet de Modernisation de l’Enseignement Supérieur en Soutien à l’Employabilité“, PromESSE-Tn) und die Europäische Union („TUnisian Network for Employability and Development of graduates' skills“, TUNED, 2016-19). Auch der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) hat ein Programm aufgelegt, das diese Zielsetzungen unterstützt (siehe unter Kooperation mit Deutschland).

 

Forschungs- und Innovationssystem

Mit Ausgaben für Forschung und Entwicklung (FuE) in Höhe von 766 Mio USD (kaufkraftbereinigt) belegt Tunesien im weltweiten Vergleich etwa Rang 60 (eigene Berechnungen auf der Basis der OECD- und UNESCO-Daten). Allerdings liegen für Tunesien nur Daten für das Jahr 2018 vor, für viele OECD-Länder gibt es bereits Daten für 2020. Der Anteil der gesamten FuE-Ausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP) liegt bei 0,6 Prozent, was genau dem Durchschnittswert der arabischen Länder entspricht (Quelle: UNESCO-UIS, Stand Juni 2019). Die FuE-Intensität hat sich damit in Tunesien seit 2012 um etwa 0,1 Prozentpunkte reduziert, während die FuE-Ausgaben in absoluten Zahlen relativ konstant geblieben sind.

In Bezug auf die Anzahl der wissenschaftlichen Publikationen liegt Tunesien im weltweiten Vergleich 2022 auf Rang 57. Die Maghreb-Staaten Marokko und Algerien, die 2018 noch hinter Tunesien zurück lagen, platzieren sich inzwischen knapp vor dem Land (Quelle: SCImago. SJR – SCImago Journal & Country Rank. Data retrieved June 30, 2023, from www.scimagojr.com).

Im Global Innovation Index (GII) 2022, in dem Innovationsleistungen der Länder weitgehend unabhängig von absoluten Größenordnungen bewertet werden, liegt Tunesien im weltweiten Vergleich auf Rang 73. Innerhalb der Region Nahost-Nordafrika (Middle East and North Africa, MENA) platziert sich das Land damit an zehnter Stelle. Innerhalb Afrikas liegt Tunesien sogar an vierter Stelle hinter Mauritius (Rang 45), Südafrika (Rang 61) und Marokko (Rang 67).

In den vergangenen Jahren wurden mehrere Studien zu dem tunesischen Forschungs- und Innovationssystem publiziert:

  • Die von der Europäischen Kommission finanzierte PASRI-Studie (2015): „Diagnostic du système national de recherche et d’innovation en Tunisie“;
  • Die durch die Wirtschafts- und Sozialkommission der Vereinten Nationen für Westasien (ESCWA) gemeinsam mit der tunesischen Förderagentur ANPR finanzierte Studie ESCWA (2016a): „How to harness the National Innovation System in Tunisia to enable Technology Transfer and Strengthen the Innovation Capability” sowie das damit verbundene Dokument ESCWA (2016b): „To Bridge the Gap: Relevant Policies for Establishing an Effective System of Strategic Innovation and Technology Transfer in Tunisia”;
  • Der von der Europäischen Kommission publizierte Hintergrundbericht zum tunesischen Forschungs- und Innovationssystem und geplanten Reformen (Europ. Kommission 2018: „Specific Support to Tunisia. Background Report").

Informationen in französischer Sprache bieten das Portal Tunisie Innovation und die Broschüre „Guide de l’Innnovation“.

Zuständig für alle forschenden Hochschulen und einige außeruniversitäre Einrichtungen ist das Ministerium für Hochschulen und wissenschaftliche Forschung (MESRS). Die Ausgaben für FuE an außeruniversitären Einrichtungen liegen insgesamt über denen der Hochschulen (siehe unter FuE-Durchführung). Organisiert werden die Aktivitäten im öffentlichen Forschungssektor im Rahmen von derzeit über 580 Forschungsstrukturen (277 Laboratorien und 304 Einheiten), die an den 13 Universitäten des Landes und 21 außeruniversitären Einrichtungen eingerichtet wurden. Die Anzahl der tunesischen Laboratorien wurde dabei in den letzten zwei Jahren deutlich verringert, von 329 auf 277 (siehe zum älteren Stand das Jahrbuch des MSERS Annuaire de Structures et Projects de Recherche 2017-18").

Die großen regionalen Entwicklungsunterschiede innerhalb von Tunesien spiegeln sich auch in dem Hochschul-, Forschungs- und Innovationssystem wider. Städte wie Tunis, Sousse, Monastir und Sfax und die dort angesiedelten Universitäten sind sämtlich im Osten des Landes beheimatet. Etwa die Hälfte der Forschungsstrukturen ist im Großraum Tunis konzentriert und weitere 30-40 Prozent im Sahel-Gebiet (Europ. Kommission (2018), S. 31).

Hochschulrankings können Anhaltspunkte für Forschungs- und Innovationsstärke einzelner Hochschulen bieten. Die fünf bestplatzierten Hochschulen sind demnach 1. die Université de Sfax, 2. Université de Tunis El Manar, 3. Université de Monastir, 4. Université de Carthage sowie 5. Université de Sousse (Times Higher Education - World University Ranking 2021, “Best for Research”).

Von den insgesamt 38 außeruniversitären Forschungseinrichtungen (Überblick) verfügen derzeit 21 über aktive Forschungsstrukturen. Darunter sind die folgenden dem Forschungsministerium MSERS unterstellt: das 1983 gegründete Zentrum für Biotechnologie Sfax (Centre de Biotechnologies de Sfax, CBS), das 1993 gegründete Nationale Zentrum für Nuklearwissenschaft und -technologien (Centre National des Sciences & Technologies Nucléaires, CNSTN), das 1995 gegründete Nationale Institut für physikalisch-chemische Analysen (Institut National de Recherche et d‘Analyse Physico-chimique, INRAP) sowie das 2005 gegründete Forschungs- und Studienzentrum zum Dialog zwischen den Zivilisationen und Religionen (Centre de Recherches et des Etudes pour le Dialogue des Civilisations et des Religions Comparées, CEREDIREC, Internetauftritt in Arabisch).

Dem MESRS sind weiterhin vier außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, die in den Jahren 2005/6 als Teil des neuen Technologieparks Borj-Cédria  gegründet wurden, zugeordnet (siehe unten). Einige außeruniversitäre Forschungseinrichtungen sind den Fachministerien unterstellt:

  • Dem Gesundheitsministerium zugeordnet sind das 1893 gegründete Pasteur-Institut in Tunis (Institut Pasteur de Tunis, IPT) und das Nationale Institut für Ernährung und Lebensmitteltechnik (Institut National de Nutrition et de Technologie Alimentaire, INNTA).  
  • Dem Agrarministerium zugeordnet sind das 1914 gegründete Nationale Institut für Agrarforschung (Institut National de la Recherche Agronomique de Tunisie, INRAT), das 1924 gegründete Nationale Institut für Meereswissenschaft und Meerestechnologie (Institut National des Sciences et Technologies de la Mer, INSTM), das 1976 gegründete Institut für Aride Regionen (Institut des Régions Arides de médenine, IRA) sowie das 1996 gegründete Nationale Forschungsinstitut für Landbau, Wasser und Wald (Institut National de Recherche en Génie Rural, Eaux et Forêts, INRGREF).
  • Dem Kulturministerium zugeordnet ist das 1957 gegründete Nationale Institut für das Kulturerbe (Institut National du Patrimoine, INP).
  • Dem Ministerium für Investitionsentwicklung und Internationale Kooperation zugeordnet ist das 1973 gegründete Tunesische Institut für Wettbewerbsfähigkeit und Statistische Analysen (Institut Tunisien de la Compétitivité et des Etudes Quantitatives, ITCEQ).
  • Dem Ministerium für Kommunikationstechnologie zugeordnet ist das 1988 gegründete Studien- und Forschungszentrum für Telekommunikation (Centre d’Etudes & de Recherche en Télécommunications, CERT).
  • Dem Umweltministerium zugeordnet ist das 1993 gegründete Internationale Zentrum für Umwelttechnologien in Tunis (Centre International des Technologies de l’Environnement de Tunis, CITET).
  • Das ebenfalls 1993 gegründete Tunesische Institut für Strategische Studien (Institut Tunisien des Etudes Stratégiques, ITES) ist direkt dem tunesischen Staatsoberhaupt zugeordnet.

Zu den Wirtschaftssektoren und -branchen, in denen Unternehmen in Tunesien FuE betreiben, gibt es keine gesicherten Daten. In der tunesischen Wirtschaft stellen besonders die Nahrungsmittelindustrie, die Textilindustrie und die Industrie für mechanische und elektrische Fertigung wichtige Standbeine dar. Diese Branchen gelten nicht als innovationsfreudig. Zudem dominieren kleine und mittlere Unternehmen (KMUs), die nicht die Ressourcen haben, FuE durchzuführen oder zu finanzieren. Dies gilt natürlich umso mehr für Mikrounternehmen mit weniger als 5 Angestellten, die in Tunesien weit verbreitet sind. Während sich die traditionellen Branchen zurückhalten, ist der aufstrebende Wirtschaftszweig Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) bei der Entwicklung von Technologien aktiv (siehe GTAI 2019: „Tunesiens IT-Sektor bietet neue Kooperationsmöglichkeiten").

Eine große öffentlich finanzierte Industrieforschungseinrichtung, die ähnlich wie Fraunhofer darauf ausgerichtet ist, Kooperations- und Auftragsforschung für Unternehmen zu betreiben, gibt es in Tunesien bisher nicht. Unter der Aufsicht des Ministeriums für Industrie sowie Kleine und Mittlere Unternehmen (Ministère de l’Industrie et des PMEs, MI) versucht ein Zentrum für Innovation und technologische Entwicklung (Centre d’innovation et de développement technologique, CIDT), die tunesischen Unternehmen mit Hilfe von Evaluierung und Beratung für Innovation zu begeistern. Die Technischen Zentren legen den Fokus eher auf die sektorenspezifische technische Beratung von Unternehmen als auf Forschung und Innovation.

Derzeit wird davon ausgegangen, dass Unternehmen in Tunesien praktisch keine Auftrags- und Kooperationsforschung mit dem öffentlichen Sektor betreiben (PASRI 2015,  S. 13). Auch die Technologieparks, die die tunesische Regierung seit 2002 aufbaut, haben daran bisher wenig ändern können. Die bisher neun eingerichteten Parks konzentrieren sich auf ausgewählte Felder oder haben einen multisektoralen Fokus (Überblick Technologieparks, Verband Tunisia Technoparks). Die damit verbundenen Erwartungen waren ursprünglich hoch: Die Einrichtungen sollten innovative und hochqualitative Produkte für einheimische und auswärtige Märkte entwickeln, Perspektiven für den akademischen Arbeitsmarkt schaffen, Partnerschaften zwischen dem öffentlichen und privaten Sektor fördern und Investitionsanreize für ausländisches Kapital kreieren.

Einen Schwerpunkt auf FuE legt seit 2005 das Technopôle Borj Cédria mit insgesamt vier neuen außeruniversitären Forschungseinrichtungen: das Zentrum für grüne Biotechnologie (Centre de Biotechnologies de Borj-Cédria, CBBC), das Zentrum für Energieforschung  und -technik (Centre de Recherche et des Technologies de l’Energie, CRTEN) sowie das Zentrum für Wasserforschung und -technik (Centre de Recherche & des Technologies des Eaux, CERTE). Das Nationale Zentrum für Materialwissenschaften (Centre National de Recherches en Sciences des Matériaux, CNRSM) kam 2006 dazu. Diese außeruniversitären Zentren, insbesondere das CBBC gehören heute zu den publikationsstärksten in Tunesien (Europ. Kommission (2018), S. 32). Zusätzlich wurden wie in anderen Technologieparks Hochschuleinrichtungen integriert. Das Ziel einer verbesserten öffentlich-privaten Interaktion konnte der Technologiepark Borj Cédria jedoch bisher nicht erreichen, da es sich als schwierig erwies, Unternehmen in ausreichender Zahl anzuwerben (siehe Elfil, Hamza: Science, Technologie et Innovation: Les Raisons de la rénovation de la Corée du Sud et du passéisme Tunisie. In: Courrier de l’industrie 133-134 - Novembre 2016, S. 43).

Der 1997 eingerichetete Technologiepark Elgazala (Pôle Elgazala des Technologies de la Communication), der gleichzeitig der erste überhaupt im Maghreb war, ist da erfolgreicher: Mit einer Spezialisierung auf IKT beherbergt er heute Niederlassungen von 80 Unternehmen, darunter von 13 multinationalen Konzernen wie z.B. Microsoft und Ericsson (Europ. Kommission (2018), S. 36). Weitere regionale Cyberparks, die über das ganze Land verstreut sind, bieten Standorte für IKT-Unternehmen und Start-Ups.

Für FuE sowie Innovation gibt es in Tunesien zahlreiche Förderprogramme, die sich vor allem an Unternehmen wenden (Überblick Förderung Portal Tunisie Innovation). Diese werden durch das Ministerium für Industrie sowie Kleine und Mittlere Unternehmen (MI) bzw. die 1972 gegründete Agentur für Industrie und Innovation (Agence de Promotion de l’Industrie et de l’Innovation, API) administriert. Mit RIICTIC („Régime d’incitation à la créativité et à l’innovation dans le domaine des technologies de l’information et de la communication“) wird ein besonderes Förderprogramm für IKT bereit gehalten.

Seit 2008 unterstützt die Nationale Agentur für Forschungsförderung (Agence Nationale de la Promotion de le Recherche Scientifique, ANPR) das Forschungsministerium MESRS. Von dem Budget des Ministeriums werden inzwischen 40 Prozent für wettbewerbliche FuE-Förderung und 60 Prozent für institutionelle Finanzierung eingesetzt. Den Löwenanteil der wettbewerblichen Mittel vergibt das MESRS unter einem Programm zur Unterstützung des wissenschaftlichen Nachwuchses („Programme d’Encouragement des Jeunes Chercheurs", PEJC), die Mittel unter anderen Programmen sind sehr limitiert (Europ. Kommission 2018, S. 57 ff.).

Einen Beitrag zur Etablierung einer Wissenschafts- und Innovationskultur in Tunesien leisten die zahlreichen Verbände und Fachgesellschaften, z.B. die Association Jeunes-Sciences de Tunisie (AJST), die Association Développement Recherche Innovation (ADRI) sowie die Association Tunisienne des Sciences Biologiques (ATSB), die vor allem durch Veranstaltungen wirken.

Zu den Stärken des tunesischen Forschungs- und Innovationssystem gehören nach den eingangs erwähnten Studien eine gut entwickelte staatliche Forschungsinfrastruktur und eine hohe Rate an wissenschaftlichen Publikationen. Zu den Schwächen zählt die mangelnde Fähigkeit des Systems, Akteure aus dem öffentlichen und privaten Sektor zu verbinden und Innovationen hervorzubringen (ESCWA 2016b; PASRI-Studie 2015). Auch die insgesamt zu geringen FuE-Investitionen, die mangelhafte Steuerung durch die politischen Organe, die Fragmentierung der öffentlichen Forschungsstrukturen, die intransparente Evaluation und die einseitig auf Frankreich ausgerichtete internationale FuE-Kooperation werden als Schwächen identifiziert (PASRI 2015, S. 8 ff).

In Bezug auf die Formulierung der tunesischen Forschungspolitik sieht der gesetzliche Rahmen eigentlich eine Vielzahl von politischen Steuerungs- und Beratungsgremien vor, die jedoch seit der tunesischen Revolution 2011 weitgehend inaktiv sind (siehe Europ. Kommission (2018), S. 40).

Für den Zeitraum von 2016-20 gibt der Nationale Enwicklungsplan („Plan de Développement Nationale 2016-20“) allgemeine Zielstellungen vor. Die 2015 angenommene Strategie für Reformen in Hochschulen und Forschung (siehe vorheriger Abschnitt) setzt darauf, an Hochschulen das Einwerben und das Management von Drittmitteln aus internationalen Quellen, regionaler Wirtschaftsförderung und dem Privatsektor zu stärken. Im August 2017 publizierte das Forschungsministerium MESRS eine Forschungsstrategie in arabischer, englischer und französischer Sprache („Tunisie - Recherche scientifique (2017-2022): Priorités, orientations futures et initiatives clés" bzw. „Tunisia - Scientific Research: Priorities, Future Directions and Key Initiatives (2017-22)"). Zu den über 20 strategischen Zielsetzungen (SOs) zählen (siehe für eine Zusammenfassung Europ. Kommission 2018, S. 46 ff.):

  • Schaffung eines transparenten wettbewerblich ausgerichteten Forschungsfördersystems, das sich an nationalen Prioritäten orientiert (SO4);
  • Steigerung des Anteils der FuE-Ausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP) auf 1 Prozent bis 2022 (SO5);  
  • Etablierung von Forschungsexzellenzzentren und Aufbau der Forschungskapazitäten (SO6);
  • Insgesamt sollen der Unternehmenssektor und auch die privaten Hochschulen in der Forschung aktiver werden (SO20). Viel Wert wird auf eine bessere Verbindung der Forschungsstrukturen mit ihrem sozio-ökonomischen Umfeld gelegt (SO19). Auch der wissenschaftliche Nachwuchs soll mobiler werden, das heißt auch praktische Berufserfahrungen außerhalb des öffentlichen Forschungssektors anstreben (SO17);
  • Die Steuerung der Technologieparks und die Ergänzung fehlender Elemente soll verbessert werden (SO16).

Ein zentraler Aspekt ist die Konsensbildung zu nationalen Prioritäten, auf die Aktivitäten und Ressourcen auszurichten sind (SO2). Auch die diversifizierten internationalen Aktivitäten sollen sich an diesen Prioritäten orientieren (SO3).  Zwischen November 2016 und Mai 2017 wurden im Rahmen eines nationalen Konsultationsprozesses folgende prioritäre Forschungsgebiete für Tunesien identifiziert:

  • Wasser, Energie und Lebensmittelsicherheit;
  • Demokratische Gesellschaft im Aufbau: Bildung, Kultur und Jugend;
  • Hochwertige Gesundheitsfürsorge;
  • Digitaler und Industrieller Wandel;
  • Steuerung und Dezentralisierung;
  • Kreislaufwirtschaft.

Ebenfalls in 2017 veröffentlichte das MESRS eine Strategie zur internationalen Kooperation in Hochschulbildung und Forschung (siehe Überblick zur Internationalen Kooperation).

Indikatoren für Bildung

Tabelle 3: Bildungsindikatoren
Quelle: UNESCO Institute of Statistics, Stand September 2023
"OECD - PISA 2015: Ergebnisse im Fokus"
* UNESCO registriert nur diejenigen internationalen Studierenden, bei denen aufgrund der Aufenthaltsdauer davon auszugehen ist, dass sie einen Abschluss im Ausland anstreben.
** UNESCO registriert nur diejenigen internationalen Studierenden, bei denen aufgrund der Aufenthaltsdauer davon auszugehen ist, dass sie einen Abschluss in dem jeweiligen Land anstreben.

Indikator

Tunesien

Deutschland

Stand

Anteil öffentlicher Bildungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP) [Prozent]

6,22

4,53

2015/21

Anteil internationaler abschlussorientierter Studierender aus dem Land [Prozent]*

9,77

3,77

2021

Anzahl Studierender im Tertiärbereich insgesamt [Mio.]

0,299

3,352

2022/21

Anteil internationaler abschlussorientierter Studierender im Land [Prozent]**

2,89

11,23

2022/21

Anzahl Promovierender insgesamt

9.478

192.270

2022/21

Anteil an neuen Studienabschlüssen in Mathematik, Statistik und Naturwissenschaften [Prozent]

6,64

7,96

2022/21

Anteil an neuen Studienabschlüssen in Ingenieurswissenschaften, Fertigung und Konstruktion [Prozent]

17,58

22,13

2022/21

PISA-Ergebnisse: Lesen [Punktzahl (Platzierung)]

361 (65)

509 (12)

2015

PISA-Ergebnisse: Naturwissenschaften [Punktzahl (Platzierung)]

386 (66)

509 (16)

2015

PISA-Ergebnisse: Mathematik [Punktzahl (Platzierung)]

367 (67)

506 (16)

2015

       

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Weitere Informationen
Links/Institutionen

FuE-Indikatoren

Tabelle 4: Indikatoren zu Forschung und Entwicklung (FuE)
Quelle: (1) UNESCO Institute of Statistics (UIS), Stand März 2021
Hinweis: Das UIS stellt seitdem keine Aktualisierungen von FuE-Indikatoren mehr zur Verfügung.
(2) OECD.Stat Main Science and Technology Indicators MSTI 2020/2, Stand März 2021
(3) OECD.Stat Patents Statistics, Stand Juli 2020
* in laufenden Preisen, kaufkraftbereinigt

Indikator

Tunesien(1)

Deutschland(2)

OECD-Gesamt(2)

Stand

Nationale FuE-Ausgaben [Mio. USD*]

766

147.502

1.560.968

2018/19/19

FuE-Anteil am Bruttoinlandsprodukt (BIP) [Prozent]

0,6

3,2

2,5

2018/19/19

Ausgaben für FuE in Unternehmen (BERD) [Mio. USD*]

140

101.747

1.112.817

2014/19/19

Anteil von BERD am BIP [Prozent]

0,1

2,2

1,8

2014/19/19

Ausgaben für FuE in Hochschulen (HERD) [Mio. USD*]

234

25.528

258.395

2014/19/19

Anteil von HERD am BIP [Prozent]

0,2

0,6

0,4

2014/19/19

Ausgaben für FuE in außeruniversitären öffentlichen Forschungseinrichtungen (GOVERD) [Mio. USD*]

382

20.227

151.334

2014/19/19

Anteil von GOVERD am BIP [Prozent]

0,3

0,4

0,2

2014/19/19

Anzahl der Forschenden (Vollzeitäquivalente)

20.489

449.464

5.347.423

2018/19/18

Anzahl der Forschenden (VZÄ) je 1000 Beschäftigte

6,0

9,9

8,9

2018/19/18

Anteil der Forschenden (VZÄ) in privaten Unternehmen [Prozent]

5,2

60,7

63,6

2018/19/18

Anteil internationaler Ko-Patente an Patentanmeldungen unter dem Vertrag über Patentzusammenarbeit (PCT) [Prozent](3)

33,3

16,6

7,7

2017

         

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FuE-Finanzierung

In den OECD-Ländern mit überwiegend hohem Einkommen finanziert meist die inländische Wirtschaft den größten Anteil der Ausgaben für Forschung und Entwicklung (OECD Gesamt 62 Prozent, Deutschland 66 Prozent). Die Anteile betragen für den Staat 25 bis 28 Prozent und für das Ausland etwa 6 bis 7 Prozent (OECD Gesamt und Deutschland).

In Tunesien ist dagegen der Staat vor der inländischen Wirtschaft die wichtigste Finanzierungsquelle, wie es für Länder mit mittlerem Einkommen wie Tunesien (Einteilung Weltbank) typisch ist.

FuE-Durchführung

Bei der Durchführung von Forschung und Entwicklung nehmen die Unternehmen in den OECD-Ländern meist eine dominante Rolle ein (Anteile für Deutschland und OECD Gesamt liegen bei 69 und 71 Prozent). Im Vergleich dazu halten sich die Unternehmen in Tunesien ähnlich wie bei der Finanzierung sehr zurück.

Im öffentlichen Sektor sind der OECD-Raum und in geringerem Maße auch Deutschland hochschulzentriert (Verhältnis von GOVERD zu HERD von etwa 35 : 65 bzw. 45 : 55). Hingegen dominieren in Tunesien die außeruniversitären Forschungseinrichtungen gegenüber den Hochschulen (Verhältnis von GOVERD zu HERD von 60 : 40).

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Bibliometrie

Die Verteilung der Publikationen auf Fachgebiete kann erste Hinweise auf die Stärken eines Forschungssystems geben (Bezugsjahr 2016, (Quelle: SCImago (2007). SJR – SCImago Journal & Country Rank. Retrieved August 8, 2017, from http://www.scimagojr.com).

Weltweit ist Medizin das Fachgebiet mit den meisten Publikationen (Welt: 15,9 Prozent sowie Deutschland 16,7 Prozent), gefolgt von den Ingenieurwissenschaften. Dies war bis vor einigen Jahren auch noch die Rangfolge in Tunesien. Seitdem haben sich dort jedoch die stetig wachsenden Computerwissenschaften (Informatik) mit 15,7 Prozent auf den ersten Rang geschoben (s. unten). In Tunesien folgen Ingenieurwissenschaften (14,5 Prozent) und Medizin (9,7 Prozent) erst dahinter.

Eine Spezialisierung Tunesiens ist in folgenden Fachgebieten festzustellen (Auswahl basierend auf Spezialisierungsindex Länderanteil/Weltanteil ≥ 1,3):

  • Computerwissenschaften (Informatik) (15,7 Prozent, Welt: 7,2  Prozent, Deutschland: 7 Prozent)
  • Ingenieurwissenschaften (14,5 Prozent, Welt: 10,9 Prozent, Deutschland 9,3 Prozent)
  • Mathematik (9,7 Prozent, Welt: 4,3 Prozent, Deutschland: 4,6 Prozent)
  • Energie (3,2 Prozent, Welt: 2,2 Prozent, Deutschland: 1,6 Prozent).

Bei einem weltweiten Vergleich der Anzahl der Publikationen liegt Tunesien im Jahr 2016 insgesamt auf Rang 50. Innerhalb der einzelnen Fachgebiete erreicht Tunesien die beste Platzierung in Informatik (Rang 37).

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Projektträger