StartseiteLänderAsienChina„Auch das nächste Jahrzehnt wird ein BRIC-Jahrzehnt“ - Wissenschaftliche Konferenz zur aktuellen wirtschaftlichen Situation und den zukünftigen Perspektiven der Länder Brasilien, Russland, Indien und China am IAMO erfolgreich zu Ende gegangen

„Auch das nächste Jahrzehnt wird ein BRIC-Jahrzehnt“ - Wissenschaftliche Konferenz zur aktuellen wirtschaftlichen Situation und den zukünftigen Perspektiven der Länder Brasilien, Russland, Indien und China am IAMO erfolgreich zu Ende gegangen

Rund 150 Ökonomen und Agrarökonomen aus mehr als 20 verschiedenen Ländern versammelten sich am 23. und 24. Juni 2011 zum IAMO Forum 2011 „Will the „BRICs Decade Continue? Prospects for Trade and Growth“ in Halle (Saale). Im Mittelpunkt der insgesamt neun Keynote-Vorträge und 30 präsentierten Papiere standen wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungen in Brasilien, Russland, Indien und China – jene Schwellenländer, die die Weltwirtschaft im vergangenen Jahrzehnt aufgrund ihrer hohen Wachstumsraten nachhaltig prägten.

„Ich bin sehr zufrieden mit der hohen Qualität der Beiträge, unseren hochkarätigen Referenten und dem engagierten Publikum“, so Thomas Glauben, Direktor des Leibniz-Instituts für Agrarentwicklung in Mittel- und Osteuropa (IAMO), das die Veranstaltung federführend in Zusammenarbeit mit dem GIGA German Institute of Global and Area Studies und dem Institut für Weltwirtschaft (IfW) organisiert hatte. Glauben ist überzeugt, dass die BRIC-Länder ihre bedeutende wirtschaftliche und politische Stellung auch in Zukunft weiter ausbauen werden. „Wir haben es noch nicht mit voll industrialisierten Volkswirtschaften zu tun. Bei der Konferenz konnte man viel darüber lernen, mit welchen konkreten und auch schwerwiegenden Problemen diese Länder zu kämpfen haben. Trotzdem denke ich: Auch das nächste Jahrzehnt wird mit Sicherheit ein BRIC-Jahrzehnt.“

Wachstum mit Hindernissen

Nach einer thematischen Einführung durch Thomas Glauben beschäftigte sich Scott Rozelle von der Stanford University in der Plenarsitzung „Wachstum und Entwicklung in den BRIC-Ländern“ mit den Wachstumschancen und -hindernissen Chinas. Das Freeman Spogli Institute for International Studies der Stanford University, für das Rozelle arbeitet, ist einer der federführenden Partner im Rural Education Action Project (REAP), an dem auch das IAMO beteiligt ist. Das Wirtschaftswachstum Chinas ist mit 10 Prozent jährlich atemberaubend, so Rozelle. Dass diese Entwicklung auch anhält und sich zum Wohle der Bevölkerung auswirkt, steht jedoch beileibe nicht fest. Rozelle verwies u.a. auf das Beispiel Mexikos, wo ein in den 80er Jahren beeindruckendes wirtschaftliches Wachstum in Stagnation und Krise umgeschlagen ist. Das sinkende Angebot an Arbeitskräften aufgrund sinkender Geburtenraten in China einerseits und das andauernde Wachstum und die damit verbundene Nachfrage nach Arbeitskräften andererseits werden zu einem Anstieg der Löhne führen, prognostizierte Rozelle. Deshalb muss China seine Produktivität erhöhen und in technologieintensiveren Wirtschaftsbereichen – etwa Luxusmode und Elektronik – wettbewerbsfähig sein. Dafür aber ist die überwiegend arme ländliche Bevölkerung derzeit nicht gerüstet – Investitionen in die Verbesserung der Gesundheit, der Ernährung und der Bildung auf dem Land sind demnach dringend geboten. Wie es mit der indischen Wirtschaft in Zukunft weiter geht, war Thema des folgenden Vortrags von Arvind Panagariya von der Columbia University. Auch die indische Wirtschaft wächst mit 8 bis 9 Prozent pro Jahr nach wie vor rasant. Anders als in China jedoch ist in Indien in Zukunft eher mit einem Überhang an Arbeitskräften zu rechnen: Der Bedarf an Arbeitskräften in der Landwirtschaft sinkt tendenziell, gleichzeitig jedoch verfügt Indien kaum über Großindustrie, die es erlauben würde, den Export weiter auszubauen. Zusätzlich problematisch: ein unflexibler Arbeitsmarkt und sinkende Bildungsinvestitionen seitens der Regierung.
Im Zentrum des Interesses von Andrei Yakovlev von der Moskauer Higher School of Economics stand Russland, das sein Bruttoinlandsprodukt in den letzten zehn Jahren verdoppelt hat. Yakovlev untersucht die Rolle von Unternehmerverbänden in der russischen Wirtschaft und zeigte, dass exportorientierte und hinsichtlich Innovationen und Investitionen aktive Unternehmen besonders häufig Mitglieder solcher Verbände sind. Darüber hinaus bilden die Unternehmerverbände eine Art Kanal für den Austausch von Eliten: die Mitgliederfirmen stehen mit den regionalen und lokalen Autoritäten in engem Kontakt, beraten diese und werden wiederum von ihnen unterstützt.

Steigende Preise und Ernährungssicherung

Ein weiterer Höhepunkt der Konferenz war die Plenarsitzung zum Thema „Ernährungssicherheit und nachhaltige Entwicklung“ am zweiten Konferenztag. Mit den Einkommenseffekten von steigenden Lebensmittelpreisen in der Krise 2007/2008 in Brasilien beschäftigte sich Francisco Ferreira von der Weltbank. Unter steigenden Lebensmittelpreisen leiden vor allem die Armen, da ihr Anteil für Lebensmittel an den Gesamtausgaben besonders hoch ist. Gleichzeitig aber haben steigende Preise auch positive Effekte auf das Einkommen derer, die selber Lebensmittel produzieren oder in der Landwirtschaft arbeiten. Darüber hinaus bezog Ferreira die Wohlfahrtsprogramme der brasilianischen Regierung in seine Betrachtungen ein. In der Zusammenschau zeigte sich, dass proportional zwar die Mittelschicht die höchsten Einkommensverluste hinnehmen musste – gleichzeitig aber ist davon auszugehen, dass im überwiegend städtisch geprägten Brasilien die „urbanen Armen“ am meisten unter der Krise zu leiden hatten.
Die Ursachen für die zunehmende Instabilität und Volatilität der Märkte für landwirtschaftliche Rohstoffe standen im Zentrum des Vortrags von Klaus-Dieter Schumacher, Leiter des Bereiches Economics, Public Affairs und Corporate Communications bei Nordzucker. Dass Rohstoffpreise Schwankungen unterliegen, ist kein neues Phänomen – wohl aber das Ausmaß dieser Schwankungen und die Komplexität der Ursachen. Neben Angebot, Nachfrage und Wetterbedingungen spielen zunehmend politische Faktoren wie die Förderung von Biokraftstoffen und Veränderungen auf anderen Rohstoffmärkten, insbesondere der Ölpreis, eine Rolle. Auch neue Marktteilnehmer, beispielsweise Hedgefonds, bestimmen den Preis mit. Schumacher sieht die G20-Länder in der Pflicht, den Einfluss der Finanzmärkte auf die Lebensmittelpreise zu beschränken.
Wie die Nahrungsmittelproduktion in den Schwellenländern gefördert werden kann, wurde von Heike Harmgart von der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) thematisiert. Diese Länder sind für die zukünftige Ernährungssicherung von entscheidender Bedeutung: Einerseits leiden sie zwar unter schwankenden Lebensmittelpreisen, andererseits tragen sie durch Marktbeschränkungen, etwa Exportquoten und -verbote, erheblich zu ihnen bei. In den von der EBRD betreuten Ländern stehen dem Ausbau der Nahrungsmittelproduktion beispielsweise abgeschottete Bodenmärkte, schlechte Infrastruktur, der fehlende Zugang zu Krediten und eine unsichere politische Lage entgegen. Impulse und Investitionen aus dem Privatsektor können zur Verbesserung beitragen, müssen von den jeweiligen Regierungen jedoch auch unterstützt werden.
Schließlich sprach David Orden vom International Food Policy Research Institute (IFPRI) über die Vereinbarungen innerhalb der Welthandelsorganisation (WTO) hinsichtlich der Unterstützung der Landwirtschaft. Ziel dieser Vereinbarungen ist es, Politikentscheidungen einzuschränken, die zu ökonomischen Verzerrungen in der landwirtschaftlichen Produktion und im Handel führen können. In einem jährlichen Bericht kann sich jeder Mitgliedsstaat einen Überblick über die Einhaltung der getroffenen Verpflichtungen verschaffen. Einen Beitritt Russlands, als einziges BRIC-Land noch kein Mitglied, würde die WTO sehr begrüßen, so Orden.

Wenig ermutigend: Afrika

Einen Blick über den geographischen Horizont der BRIC-Länder hinaus bot die vom Kieler Professor Awudu Abdulai organisierte Sondersitzung über Afrika. Wirtschaftliches Wachstum ist zwar eine notwendige Voraussetzung für eine Reduzierung der Armut, so Augustin Fosu vom World Institute for Development Economics Research der United Nations University. Nicht automatisch aber führt das Wachstum tatsächlich zu einer Minderung der Armut – anders als beispielsweise in Indien lässt sich im subsaharischen Afrika kaum eine Veränderung beobachten. Adusei Jumah vom United Nations Program for Development berichtete über die Fortschritte des Kontinents beim Erreichen der “Millenium Development Goals” der Vereinten Nationen (MDGs). Bei den MDGs handelt es sich um eine Reihe von konkreten, d.h. quantifizierbaren Zielen mit festgelegtem Zeitrahmen, deren Nichterreichen jedoch nicht sanktioniert wird. Bei der Reduzierung der Armut ist Afrika insgesamt vorwärts gekommen. Auch der Zugang zu Bildung und sauberem Trinkwasser hat sich verbessert. Wenig ermutigend hingegen ist das Bild hinsichtlich der die Gesundheit der Bevölkerung betreffenden Ziele, wie die Bekämpfung von HIV/Aids, Malaria und die Verringerung der Kindersterblichkeit. Besonders besorgniserregend stellt sich die Situation im subsaharischen Afrika dar: Diese Ländern sind vom Erreichen aller MDGs weit entfernt. Jumah erläuterte auch, dass Schwellenländer wie China, Indien und Brasilien in den letzten Jahren zu wichtigen Handelspartnern für Afrika geworden sind. Ob die Zusammenarbeit allerdings gleichberechtigt und zum beiderseitigen Vorteil sei, wurde anschließend mit dem Publikum kritisch diskutiert.

Seit 2003 organisiert das Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Mittel- und Osteuropa (IAMO) alljährlich das IAMO Forum. Ziel der Veranstaltung ist es, aktuelle Forschungsergebnisse zu präsentieren und gemeinsam mit renommierten Wissenschaftlern und Vertretern aus Politik und Wirtschaft zu diskutieren. Gleichzeitig wird talentierten Nachwuchsakademikern die Gelegenheit gegeben, ihre Arbeit vorzustellen und sich in der globalen Wissenschaftsgemeinschaft zu vernetzen. Das nächste IAMO Forum findet vom 20.-22. Juni 2012 in Halle (Saale) statt. Das Thema lautet „Land use in transition: Potentials and solutions between abandonment and land grabbing“.

Über das IAMO
Das Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Mittel-und Osteuropa (IAMO) ist eine international anerkannte Forschungsreinrichtung. Mit über 60 Wissenschaftlern und in Kooperation mit anderen renommierten Instituten widmet es sich wichtigen Fragen der Agrar- und Ernährungswirtschaft und der ländlichen Räume. Hauptuntersuchungsregionen sind Mittel- und Osteuropa sowie Zentral- und Ostasien. Seit seiner Gründung 1994 gehört das IAMO als außeruniversitäre Forschungseinrichtung der Leibniz-Gemeinschaft an.

Kontakt
Rebekka Honeit
Tel.: 0345 - 2928 - 330
Fax: 0345 - 2928 - 499
E-Mail: honeit(at)iamo.de

Quelle: Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Mittel- und Osteuropa Redaktion: Länder / Organisationen: Brasilien Russland Indien China Themen: Wirtschaft, Märkte

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