Überblick zur Bildungs-, Forschungs- und Innovationslandschaft und -politik: Brasilien
Brasilien ist einer der weltweit wichtigen Standorte für Forschung und Entwicklung (FuE). MIt FuE-Ausgaben in Höhe von 36,4 Milliarden USD (kaufkraftbereinigt, Bezugsjahr 2021) belegt Brasilien im globalen Vergleich Rang 11 hinter Italien und vor Kanada (eigene Berechnungen auf der Basis der OECD- und UNESCO-Daten). In Bezug auf die Anzahl der wissenschaftlichen Publikationen platzierte sich Brasilien 2024 auf Rang 14 (Quelle: SCImago. SJR — SCImago Journal & Country Rank. Retrieved January 26, 2025, from www.scimagojr.com).
Auch wenn die absoluten Investitionen Brasiliens im weltweiten Vergleich hoch sind, liegt die FuE-Intensität, das heißt der Anteil der gesamten FuE-Ausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP) weiterhin bei nur etwa 1,2 Prozent und damit deutlich unter dem durchschnittlichen Anteil für diejenigen Industrieländer, die sich in der OECD zusammen geschlossen haben (siehe FuE-Indikatoren). Innerhalb von Lateinamerika nimmt Brasilien allerdings mit der FuE-Intensität von 1,2 Prozent eine Spitzenstellung mit großem Abstand vor allen anderen Ländern der Region ein. Auch andere Daten unterstreichen, dass Brasilien eine Führungsrolle in der Region zukommt: 62 Prozent der gesamten FuE-Ausgaben Lateinamerikas werden in Brasilien investiert. Mexiko und Argentinien folgen mit Anteilen von 11,6 und 8,9 Prozent erst mit weitem Abstand (siehe Bericht Ricyt 2024: El Estado de la Ciencia. Red de Indicadores de Ciencia y Tecnología - Iberoamericana e Interamericana, S. 18). Im Global Innovation Index (GII) 2024, in dem Innovationsleistungen der Länder weitgehend unabhängig von absoluten Größenordnungen bewertet werden, liegt Brasilien im weltweiten Vergleich auf Rang 50. Innerhalb von Lateinamerika hat Brasilien damit Chile überholt und platziert sich auf Rang 1.
Die brasilianische Forschungs- und Innovationspolitik wird von dem Ministerium für Wissenschaft, Technologie und Innovation (Ministério da Ciência, Tecnologia e Inovação, MCTI) gestaltet. Zuständig für die Bildungspolitik des Landes ist das Ministerium für Bildung (Ministério da Educação, MEC). Das MEC ist neben der Schul- und Hochschulbildung auch für die Berufsbildung verantwortlich.
Es bestehen über 2.500 Einrichtungen für tertiäre Bildung in Brasilien. Der überwiegende Teil davon sind private Institutionen, die ein eingeschränktes Spektrum an Fächern anbieten (faculdades). Lediglich 293 davon haben den Rang einer Universität, die Qualität der 233 öffentlichen Universitäten gilt als sehr gut. In Brasilien legt die Verfassung fest, dass an öffentlichen Hochschulen (Universitäten, universitäre Zentren und faculdades) grundsätzlich keine Studiengebühren erhoben werden dürfen. Die Anzahl der Studienplätze ist jedoch beschränkt und der Zugang wird nach ausgewählten Kriterien wie den Ergebnissen einer national einheitlichen schulischen Abschlussprüfung, aber auch universitätseigenen Zugangsprüfungen (vestibular) gewährt (siehe OECD (2018), Rethinking Quality Assurance for Higher Education in Brazil, S. 76). Im Ergebnis schreiben sich etwa 75 Prozent der Studierenden an privaten Hochschulen ein, an denen meist Gebühren erhoben werden. Zur Unterstützung vergibt der brasilianische Staat Stipendien.
Trotz des starken Wachstums der absoluten Studierendenzahlen auf 8,9 Millionen hat Brasilien im internationalen Vergleich noch erheblichen Nachholbedarf: Der Anteil der 25-34-Jährigen, die einen tertiären Bildungsgang abgeschlossen hatten, lag bis 2017 deutlich unter 20 Prozent. Erst 2018 wurde die 20-Prozentmarke überschritten, 2023 wurden 23,8 Prozent erreicht (siehe Bildungsindikatoren). Ein wichtiges bildungspolitisches Ziel Brasiliens unter dem Nationalen Bildungsplan ist es daher, den Anteil der Studierenden in der Altersgruppe der 18-24-Jährigen auf 33 Prozent zu steigern (siehe Plano Nacional de Educação 2014 - 2024, PNE).
In den Universitäten der südöstlichen und südlichen Bundesstaaten Brasiliens, v. a. in São Paulo, Minas Gerais, Rio de Janeiro und Rio Grande do Sul, entsteht der überwiegende Teil der wissenschaftlichen Produktion des Landes. Die drei wichtigsten Forschungsuniversitäten des Landes stehen in der Trägerschaft des Bundesstaates São Paulo. Hier gibt es auch bedeutende außeruniversitäre Forschungseinrichtungen wie das Nationale Zentrum für Energie- und Materialforschung (CNPEM), das Institut für Technologieforschung São Paulo (IPT) oder das Nationale Weltraumforschungsinstitut (INPE). Kooperation International bietet ein Porträt zu der Hightech-Region São Paulo an.
Die Förderung von Forschung und Innovation in Unternehmen ist seit etwa einem Jahrzehnt Schwerpunkt der brasilianischen Forschungspolitik. Seit 2013 besteht die Brasilianische Agentur für Industrielle Forschung und Innovation EMBRAPII. Die in diesem Netzwerk zusammengefassten etwa 90 akkreditierten EMBRAPII-Einheiten können auf eine Finanzierung durch das EMBRAPII-Programm zurückgreifen, wenn sie Innovationsprojekte in Kooperation mit Unternehmen durchführen. Eine gemeinsame Initiative von Wissenschafts- und Industrieministerium unter dem Titel „Mais Inovação“ zielt seit 2023 auf die Beschleunigung der Innovation, die Straffung der Produktionsketten und die Gewährleistung der technologischen Autonomie des Landes ab. Bis 2026 sollen etwa 12 Milliarden Euro investiert werden.
Die Regierung Lula da Silva initiierte 2023 einen Prozess zur Formulierung der neuen Nationalen Strategie für Wissenschaft, Technologie und Innovation für den Zeitraum 2023-2030 (ENCTI, Estratégia Nacional de Ciência,Tecnologia e Inovação). Die Strategie wird unter breiter Beteiligung der Gesellschaft entwickelt, der Prozess ist jedoch noch nicht abgeschlossen. Die vorbereitenden Diskussionen sind in vier thematischen Achsen strukturiert: 1) Ausbau und Konsolidierung des nationalen Systems für Wissenschaft, Technologie und Innovation; 2) Reindustrialisierung und Innovation in Unternehmen; 3) Wissenschaft, Technologie und Innovation zur Unterstützung strategischer nationaler Projekte und 4) Wissenschaft, Technologie und Innovation für die Entwicklung der Gesellschaft. Übergeordnetes Ziel der Vorgänger-Strategie (ENCTI 2016 – 2022) war es, Grundlagen für eine Wissenschaftsgesellschaft in Brasilien zu legen und das brasilianische Wissenschaftssystem auszubauen.
Das Bildungsressort der aktuellen brasilianischen Regierung wird von Camilo Santana, das Ministerium für Wissenschaft, Technologie und Innovation von Luciana Santos geleitet.